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6. April: Von Tardajos nach Tosantos

Wunderbare Pilgergemeinschaft

Schon auf dem Weg ging die Kunde von der Pilgerherberge in Tosantos voraus. Drei junge Männer hatten dort übernachtet und schwärmten von  der Pilgergemeinschaft und der ganzen Atmosphäre, die was ganz besonderes sein soll. Also strengte ich mich an, und fuhr den ganzen Tag, denn ich wollte diesen besonderen Ort erreichen. Es war kurz vor sieben Abends, als ich endlich ankam. Die anderen jungen und älteren PilgerInnen standen bereits in der Gemeinschaftsküche und schnitten Gemüse und lachten miteinander..

Der Hausherr selbst zeigte mir den Raum mit dem Matratzenlager im 2. Stock Da lagen vielleicht schon ein dutzend belegte Matratzen und er schob einfach noch eine letzte neben die Türe zum Heizkörper, was mir auch recht war. Ich legte meinen Rucksack und Schlafsack darauf, wusch mich etwas und dann drängte es mich nach unten. Der Grund war ein schöner Gesang. Im Gang stand eine Gruppe Pilger und sang das schöne Pilgerlied

Ultreia Ultreia, et suseia, Deus adjuvanos!

(gehe vorwärts und wachse, Gott hilft dir, wenn es schwierig wird!)

Der Gesang fühlte sich für mich himmlisch an. Biblisch gesprochen: Als ob ein Chor von Engeln über uns schwebte. Diese Spiritualität zu erleben war etwas ganz besonderes, nach Wochen ohne diese geistige Dimension. Ich war sehr gerührt und dann half ich noch beim Tisch decken.

Es gab Salat zur Vorspeise, dann einen Eintopf und Obst zum Nachtisch. Die junge Frau neben mir war Polin und lebte in England. Sie war hier, weil sie müde war von der Arbeit. Eine junge Spanierin schräg gegenüber von mir war voller Energie. Marie aus Hamburg hatte vor dem Abendessen noch ihre drei Buben und den Ehemann angerufen, um zu fragen wie es ihnen geht. Und ich dachte bei mir: So wie diese Mutter mit ihren Kindern umging so hätte ich mir es auch gewünscht. Ich bewunderte sie. Ich konnte es nur nicht einordnen, dass ein anderer Mann sehr vertraut neben ihr saß. Am nächsten Morgen erzählte sie mir, dass diese Wanderung eine Auszeit für sie war. Sie konnte nicht mehr und die Ehe war zerbrochen, da sie die noch kleinen Kinder meist alleine erzogen hatte. Ihr Mann baute seine Firma auf. Nun war sie davon gelaufen, weil sie ausgelaugt und leer war. Und so hatte Jede und Jeder seine Geschichte zu erzählen.

Nach dem Abendessen hieß es, wir räumen auf, waschen das Geschirr und treffen uns danach in der Kapelle unterm Dach.

Wir sollten auch einen Zettel und Stift mitnehmen um unseren Wunsch oder Anliegen auf dem Pilgerweg aufzuschreiben. Dann trafen wir uns in dem gemütlichen Raum.

Wir sangen Lieder in Englisch, Spanisch und Deutsch. Dann nahm jeder einen Zettel aus dem Korb heraus. Auf diesen Zetteln waren die Wünsche und Anliegen unserer VorgängerInnen geschrieben, und wir sollten sie laut vorlesen. Jeder bekam einen Zettel der in seiner eigenen Sprache verfasst war. Auch Polnisch, Litauisch, Italienisch, usw. Wer eben vom jeweiligen Land gerade da war.

Diese Anliegen waren zum Teil so berührend, dass eine Frau während des Lesens anfing zu Schluchzen und zu weinen. Sie konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen, so hatte sie die Botschaft auf dem Brief getroffen. JedeR in diesem Raum war berührt. Wir legten dann unsere Wünsche in den Korb mit dem Wissen, dass sie von denen, die nach uns hier her kamen vorgelesen wurden. Wir beteten noch für Heilung, Kraft, Segen und Verwandlung. Und wir waren auch an diesem Abend irgendwie verwandelt.

Ich konnte noch lange  nicht einschlafen.

Am Morgen um halb sieben standen die ersten auf und auch ich fing an meinen Schlafsack zusammen zu räumen.

Um halb acht richteten wir den Frühstückstisch. Es gab nur Kaffee, Tee, Kekse, Marmelade und Weißbrot. Dann gingen alle Pilger in Gruppen oder alleine Richtung Santiago weiter und ich fuhr mit dem Rad weiter Richtung Heimat. Ich war voller Eindrücke, Freude, voller Energie, und schwebte auf dem Rad dahin trotz der üblichen Kälte am Morgen. Und auch ich erzählte von dieser Pilgerherberge denen, die mir begegneten. Ja es war etwas Besonderes. Und es hatte mir gezeigt was mir bisher gefehlt hatte: Nämlich dieser Pilgergeist, die spirituelle Dimension, die den Weg, den man vor sich hat nicht mehr so mühsam erscheinen lässt, sondern als einen Weg immer wieder zu sich selbst, in die Seele, in die Tiefen der Gefühle von Schmerz, Trauer, Wut, Freude, Glück und Dankbarkeit. Nun fuhr ich den Weg heimwärts und dachte immer an den Spruch: Vorwärts, vorwärts und wachse dabei nach innen hin. Gott hilft dir, wenn es zu schwer wird!